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Orientierung – Menschenbild

Unser Bild vom Kind sowie unser Verständnis von Erziehung, Bildung und Betreuung

Lebendig statt brav – „Der Andere Umgang“

Die pädagogische Haltung „Der Andere Umgang“ ist zeitgleich mit den ersten Kinderläden vor über 30 Jahren entstanden. Damals war die Kritik an autoritären Erziehungsstilen und hierarchischen Beziehungsformen zwischen Kindern und Erwachsenen, als Nährboden für blinden und somit gefährlichen Gehorsam, Ausgangspunkt und Hintergrund für die Entstehung der antiautoritären Erziehungsbewegung.
Im Zentrum stand die Selbstbestimmung des Kindes. Diese von Eltern wesentlich mitgetragene Bewegung war eingebettet in einen lebhaften Austausch über humane und demokratische Formen des Zusammenlebens. In dieser Zeit des Umbruchs im Hinblick auf Erziehungs- und Lebensformen entstand der Name „der Andere Umgang“, welcher sich auf das „Andere“ in Form des autoritären, repressiven, hierarchischen Umgangs bezieht.
Heute stellt sich die Frage nach dem Bezugspunkt zwar neu, denn das Autoritäre zeigt sich nicht mehr so deutlich und Lebensformen, Formen des Zusammenlebens sowie die Familienstrukturen haben sich verändert, trotzdem aber bleibt der Name Programm.
Denn er macht neugierig, regt zu eigenem Nachdenken an und er legt nicht fest. Es geht um ein kommunikatives Aushandeln von Umgangsformen, um die Selbstreflexion bei allen Beteiligten und nicht um ein autoritäres Überstülpen und Vorschreiben von (Erziehungs-)vorstellungen. (vgl. Mechler-Schönach, 2011, S. 6 – 7)

Beim „Anderen Umgang“ geht es um das „lebendig-wache Kind (und nicht ein brav angepasstes), das in der Kindergruppe die Chance haben soll, all seine potenziellen Fähigkeiten und Interessen zu entfalten und lebendig werden zu lassen – unabhängig davon, inwieweit geschlechts- oder kulturspezifische Erwartungen und Normen bestimmte Wege eher öffnen oder verschließen“ (Mechler-Schönach, 2011, S. 6).

Aktives Tun, Spielen in sozialen Zusammenhängen, „learning by doing“ in Verbindung mit einer einfühlsamen Unterstützung und sicheren Begleitung durch die betreuenden Erwachsenen ermöglichen Entwicklung und Entfaltung.
Kinder brauchen Raum, Freiraum als Möglichkeit des Selbstentdeckens, Zeit, Material und eine wertschätzende Begleitung.

Prinzipien sind (vgl. Mechler-Schönach, 2006 / Mechler-Schönach, 2011):
– Lebendig statt brav
– Von Kindern lernen
– Vertrauen auf selbstentdeckendes Lernen der Kinder sowie Vertrauen auf deren schöpferische Lust und Neugier. Kinder haben Lust auf ein aktives, erforschendes Lernen und Leben.
– Vertrauen auf Entscheidungslust und Entscheidungskraft der Kinder (z.B. gemeinsam Regeln ausmachen)

Bedingungen für den „Anderen Umgang“ sind (vgl. Mechler-Schönach, 2006 / Mechler-Schönach, 2011):
– Kleine Gruppen
– Räume für mögliches, vielfältiges Geschehen. Es braucht einen äußeren Raum für eigene Gestaltung und Vorlieben sowie einen inneren Spielraum in Form des „Zulassen-Können“ von verschiedenen Arten zu leben, zu lernen und zu sein.
– Offener Spiel-Lern-Freiraum statt vorgeschriebenem „Lehrplan“
– Bedeutung des Prozesses, nicht nur des Produktes.

Dies alles braucht von Seiten der Erwachsenen unter anderem:
– Ein aufmerksames Wahrnehmen der kindlichen Bedürfnisse, diese möglichst vorurteilsfrei zu beobachten/zu beachten und die Kinder gleichberechtigt zu behandeln.
– Vorbild zu sein, Authentizität und Aufrichtigkeit, sich nicht „verstellen“ und eigene Gefühle nicht zu verleugnen, denn Kinder nehmen sehr sensibel wahr. Es ist wichtig keine Doppelbotschaften zu senden, nicht das eine tun und das andere denken. Keine falschen Drohungen, die nicht realisiert werden können oder falsche Versprechungen, die nicht eingehalten werden können, machen.
Sich selbst etwas gönnen und etwas Gutes tun.
– Respektvoller, achtsamer Umgang im Hier und Jetzt
– Grenzen zeigen und wahren – kein „Gummiball“ sein, konkret und konsequent handeln, denn Kinder brauchen ein Gegenüber.
– Kinder an den Entscheidungen beteiligen – Regeln aushandeln und begründen. Wenn ein Kind eine Regel als bedeutsam und notwendig erlebt, wird es sich daran halten. Dem Kind auch – dem Alter entsprechend – Verantwortung übergeben.
– Ansetzen an den Stärken und Ressourcen des Kindes. Kinder möchten ihre Fähigkeiten erweitern und ausbauen, sie sind aktive Forscher und Entdecker. Sie machen dies jedoch „lieber auf der Basis eines guten Grundvertrauens in die eigenen Fähigkeiten als in dauerndem Anhören-Müssen, was man noch alles nicht kann …“ (Mechler-Schönach, 2006)

Sigrid Tschöpe-Scheffler zeigt Wege zu einem entwicklungsfördernden Miteinander von Erwachsenen und Kindern auf und stellt diese in den folgenden fünf Säulen dar:
– Achtung und Respekt: Einem Kind die volle Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt zu schenken, qualitative Zeit geht vor quantitative. Wichtig ist auch, dem Kind eigene Wege und Lösungswege zuzutrauen.
– Kooperation: Kinder sollen in Entscheidungen miteinbezogen, Standpunkte ausgetauscht werden. Auch wenn die/der Erwachsene die Verantwortung und Begleitung übernimmt, ist Teilhabe und Teilnahme für Kinder wichtig.
– Emotionale Wärme – wohlwollende Atmosphäre, echte Anteilnahme, zugewandte Haltung, Trost, … dem Kind das „Geschenk der reinen Aufmerksamkeit“ geben.
– Struktur und Verbindlichkeit: Rituale und Gewohnheiten des Alltags, Verlässlichkeit und Kontinuität geben dem Kind Struktur und Handlungssicherheit. Es braucht Regeln, die allen bekannt und für alle verständlich sind. Ebenso ist es wichtig, dass Konsequenzen aus einem Regelverstoß allen bekannt sind und dass diese nicht nur „angedroht“ sondern auch eingehalten und – unmittelbar nach einem Regelverstoß – durchgeführt werden.
– Allseitige Förderung bedeutet, dafür zu sorgen, dass Kinder in einer anregenden Umgebung leben können, die ihr Neugierverhalten unterstützt.
(vgl. Mechler-Schönach, 2006 nach Tschöpe-Scheffler in „Fünf Säulen der Erziehung. Wege zu einem entwicklungsfördernden Miteinander von Erwachsenen und Kindern“)

„Stärken stärken und Schwächen schwächen.“ (Fhendakis)

Das „Klax-Modell“

In diesem Modell basiert das Bild vom Kind auf der Annahme, dass Kinder von Anfang an große Potentiale mitbringen. Um diese zu entfalten und dem Kind die Möglichkeit zu geben, seinen eigenen Weg zu finden, braucht es vielfältige Anregung durch die Umwelt sowie die Berücksichtigung eines jeden Kindes in seiner Individualität.
Entwicklung und Bildung wird dadurch gefördert, dass Kindern bewusst Erfahrungen zugänglich gemacht und ihnen durch Material und Raum anspruchsvolle Bildungsangebote angeboten werden. Denn Lernen ist ein lebenslanges Grundbedürfnis des Menschen und diese Eigenmotivation zum Lernen soll erhalten bleiben und gefördert werden. Die Kinder werden darin unterstützt, ihre optimale Weise des Lernens kennenzulernen und beim Lernen alle Sinne einzusetzen.
Die Lernfreude der Kinder bleibt erhalten, wenn sie sich selbst dabei als handlungsfähig erleben und Stolz für das Erlernte entwickeln können. Durch die Erfahrung, wie sie lernen und was sie schon gelernt haben, bauen sie eine sichere positive Haltung zu allen kommenden Lernaufgaben auf. Im Vertrauen in sich selbst und mit Selbstbewusstsein lernen Kinder aktiv und mutig an Neues heranzugehen. (vgl. Bostelmann, S. 8 – 11)

Grundwerte im KLAX-Modell sind (vgl. Bostelmann, S. 21 – 23):
– Bedürfnisse erkennen statt eigene Vorstellungen aufzwängen: Den inneren Fahrplan des Kindes erkennen, ihn mit fachlicher Kompetenz und im Einklang mit dem Kind umsetzen.
– Individuell begleiten statt kollektiv abzufertigen: Einen Alltag gestalten, der als Gemeinschaft erlebbar ist und trotzdem größtmöglichen Spielraum für individuelles Tun bietet.
– Verständnis schaffen als Grundlage für Einverständnis: Kinder haben die Fähigkeiten und auch das Recht mitzugestalten.
– Vielfalt bereitstellen statt Auswahl begrenzen: Kinder brauchen eine Welt, die nach ihren Bedürfnissen gestaltet ist  sicher, erforschbar und spannend.
– Die Perspektive teilen statt nur den Überblick haben: Auf Augenhöhe mit dem Kind sein, um zu verstehen, wo sein Interesse liegt und was es gerade bewegt.

Ein Herzstück des KLAX-Modells ist die Portfolioarbeit. Sie ist ein intensiver Austausch zwischen Betreuerinnen/Betreuern, Eltern und dem Kind und basiert auf der Grundlage, dass ein offener Austausch mit den Eltern die Basis für eine gute Zusammenarbeit zum Wohle des Kindes ist. (vgl. Bostelmann 2008, S. 17)

Kerngedanke ist es, die Entwicklung eines jeden einzelnen Kindes zu dokumentieren. Diese Entwicklungsdokumentation bzw. das Aufzeichnen der Bildungs- und Lerngeschichten erfolgt nach folgenden Grundsätzen (vgl. Bostelmann 2008, S. 18 – 20):
1. Für jedes Kind wird ein aussagekräftiges Portfolio geführt. Der Blick auf die individuelle Entwicklung des Kindes, ermöglicht kindzentriertes Arbeiten.
2. Zentrales Thema der Dokumentation sind die Kompetenzen, die das Kind erreicht hat.
Im Portfolio gibt es Kernblätter mit der Dokumentation von gerade bewältigten Entwicklungsschritten. Das Besondere daran ist, dass festgehalten wird, wann und auf welche individuelle Weise das Kind diesen Entwicklungsschritt geschafft hat.
3. Im Portfolio dokumentieren alle am Erziehungsprozess Beteiligten füreinander. Die Dokumentation im Portfolio dient einem kommunikativen Austausch. Es sind darin sowohl Beiträge der Betreuerinnen/Betreuer als auch der Eltern enthalten. So entsteht eine Dokumentation aus verschiedenen Blickwinkeln, mit dem Ziel, das Kind optimal zu fördern. Fotos und kurze, erzählende Texte dienen aber auch dazu, das Kind selbst anzusprechen.
4. Das Portfolio macht konsequent das Erreichte sichtbar, niemals die Defizite. Das Portfolio beschreibt das Positive, es baut Zuversicht für kommende Entwicklungsschritte auf. So erfahren auch Kinder, deren Entwicklungsschritte – im Vergleich mit anderen – etwas später stattfinden, die genau gleiche Wertschätzung, wie andere.

Ziel der Portfolio-Mappe ist, für jedes Kind aufzuzeigen, was das eigene, besondere, charakteristische an seinem Weg ins Leben ist. (vgl. Bostelmann 2008, S. 23)

Die Portfolioblätter unterteilen sich im Wesentlichen in drei Kategorien:
1. Auf dem Weg zum Ich – die Ich-Seiten: Sie beschreiben die Hauptperson – das Kind. Die Begrüßungsseite „Das bist du“ wird von den Eltern gestaltet. Im Weiteren werden z. B. beschrieben: „Wie du älter wirst“ „Das kannst du gut“ „Deine Familie“ „Deine Gruppe“ „Geschichten über dich“ „Dinge, die du gerne magst“ etc.
2. Was ich gerade lerne – Seiten zur Bildungsdokumentation: Auf diesen Seiten werden die Entwicklungsschritte des Kindes bildnerisch dokumentiert. „Geschafft! Gelernt!“ ist in dieser Kategorie, die wohl wichtigste Folie.
3. Hand in Hand mit Eltern und Kind – Seiten zur Elternzusammenarbeit: Diese Seiten richten sich nicht mehr an das Kind selbst. Sie dienen dazu, die Zusammenarbeit von Eltern und Pädagoginnen/Pädagogen zu fördern.
(vgl. Bostelmann 2008, S. 31 – 48)

Das Portfolio dokumentiert Lebensgeschichte und ist wie ein Bilderbuch mit dem Kind als Hauptperson. Es ist ein Tagebuch des Lernens, das eine Geschichte von Anfang an erzählt. Das ist gerade im Kinderkrippenalter spannend, denn das sind jene Jahre an die man sich selbst nicht erinnern kann. Unsere Kinder dürfen das Portfolio am Ende ihrer Zeit bei uns mit nach Hause nehmen und haben so eine wertvolle Erinnerung für später.